Fernab von den Augen der breiten Öffentlichkeit, Insta-Stories und politischen Grabenkämpfen liegen in diesem Moment über 500 neugeborene Kegelrobben auf einer kleinen Sanddüne bei Helgoland. Und es werden mit jedem Jahr mehr Jungtiere.
Liebeserklärung an Helgoland
Warum sollte ich nach Helgoland reisen?
Auf den ersten Blick ist das Stadtbild Helgolands kaum einladend. Sie wirkt wie eine Stadt, die in ihrer Entwicklung stecken geblieben ist, ähnlich einer Stadt mit mittelalterlichem Stadtkern, welche nach einer Hochphase an Bedeutung verlor und sich nicht mehr weiterentwickelte. Jedoch finden sich auf Helgoland keine mittelalterlichen Burgenkomplexe, sondern schnöde Zweckbauten aus den 1960er Jahren, manche würden von alter BRD-Romantik sprechen. Hipster-Cafés? Walking Tours? Wohnzimmer-Bar?
Absolute Fehlanzeige.
Das alles kann Helgoland also nicht bieten. Aber warum beginne ich jedes Mal innerlich wieder von Neuem zu schwärmen, wenn es um diese Insel geht?
Weil sie einzigartig ist. Mit nichts anderem in Deutschland zu vergleichen. Keine deutsche Insel liegt weiter vom Festland entfernt, verfügt über ein vergleichbares Ökosystem. Nirgends wurden mehr Vogelarten gezählt als hier. Im Sommer brüten tausende Seevögel an den Hängen der Klippen, kleine Lummenküken springen mutig ihren Eltern vom Felsen ins Meer nach. Vor allem aber bietet sie einem Tier einen Rückzugsort, welches vor nur wenigen Jahrzehnten quasi in der gesamten deutschen Nordsee ausgestorben war; der Kegelrobbe. Wobei Rückzugsort eine Untertreibung ist: Kegelrobben sind zurück in deutschen Gewässern – und zwar im großen Stil.
Stell dir einen winterlichen Sonnenaufgang über dem Meer vor. Vor dir liegen hunderte schwere Fleischberge, Weibchen mit ihren noch weißen, flauschigen Babys, kräftige, bis zu 300 Kilo schwere Bullenmännchen, die in
überraschend schneller Geschwindigkeit zum Kampf aufeinander zufliegen. Und in der Luft zahlreiche Vögel, die sich in den Wind legen. Im Hintergrund der peitschende Wind, das Geräusch der Wellen, die an den Pier hämmern…
Bulle nach einem Kampf
Photo by Marcel Gerson
Helgolands Wilde Seite
Bisher werden jedes Jahr mehr Robben geboren, aber es kommen auch immer mehr Touristen auf die Insel. Wenn keine Anstrengungen unternommen werden, diese Entwicklung zu lenken, zu regulieren, wird sie nicht mehr kontrollierbar sein. Zur Missgunst der Inselbewohner muss ich leider feststellen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, dieses Paradies zu bewahren: Durch unsere Abstinenz. Unser pures nicht Vorhandensein. Oder zu mindestens unsere Beschränkung. Das ist alles, was wir machen müssten, um diese Erfolgsgeschichte dauerhaft zu bewahren. Ob durch Kontingente, Ausweisung spezieller geschützter Zonen oder andere Reglungen der Düne, ist nicht für mich zu entscheiden. Mir sind die politischen Diskussionen bekannt, aber sie ändern nichts an dieser einfachen Realität.
Das sind Eindrücke, die sich tief in mein Gedächtnis gebrannt haben. Keine Erinnerung aus Australien, Indien oder Ecuador, sondern von hier, aus einem sonst so streng regulierten Land mitten in Europa.
Dieses Spektakel ist einzigartig. Ein starkes Wort, aber es ist mit Bedacht gewählt. All dies lässt sich in keinem mir bekannten Ort in Europa mit dieser einfachen Zugänglichkeit beobachten. Für viele in Deutschland mag all dies verborgen sein, aber es gibt bereits Menschen, die jeden Winter zur Geburtensaison der Kegelrobben auf die Insel pilgern. Vorrangig sind das Fotografen, die sich für ein besseres Foto immer näher an die Tiere heranwagen.
Es gibt derzeit keine Beschränkung für Touristen oder Einheimische, zur Düne (Helgolands Nachbarinsel und Lebensraum der Robben) überzusetzen. Keine abgesperrten Strände. Keine Besucherkontingente. Nur Verhaltensregeln, einen Dünen-Ranger und ein Naturschutzverband namens Jordsand, die die Besucher anleiten. Und jetzt komme ich auch noch und versuche, noch mehr Menschen für diese Insel zu begeistern. Warum das Ganze?
Diese Zeilen sind eine Liebeserklärung an die Insel, an ihre Einzigbarkeit – und ein Appell, sie zu schützen. Eine Insel auf der ich, vor zwei Jahren, sechs Wochen verbrachte. In stürmischen Nächten mit Starkregen und Hagel von meinem Zimmer auf dem Oberland den Lichtkegel des Leuchtturms beobachtet habe. In einem Kino mit zwanzig Sitzplätzen, ein Monat nach offiziellem Release, Filme wie Doctor Strange ertragen musste oder in der örtlichen Disco Café Krebs Löcher in die Luft starrte. Wo ich mit Kollegen zusammen ausschweifende Werwolf Runden zelebrierte oder zum ersten Mal einen Eiergrog in meinen Händen hielt. Von der ich vor zwei Jahren kurz vor Silvester flüchtete. Und dieses Jahr zu Silvester hinreise.
Jungtier und Mutter auf der Düne
Photo by Marcel Gerson
Helgolands Zukunft
In Zeiten eines massiven weltweiten Artensterbens erscheinen mir selbst die wenigen positiven Geschichten umso wichtiger. Sie lassen uns für einen Moment Hoffnung verspüren oder zeigen uns auf, wie schnell sich ein System wieder erholen kann, wenn wir einfach einen kleinen Schritt zur Seite machen und auf die Natur vertrauen. Die Kegelrobben wurden nicht ausgewildert oder ihre Rückkehr durch kostspielige Projekte unterstützt. Sie kamen von sich aus zurück. Ganz ohne 10 Jahres Plan. Immer noch eine schwierige Vorstellung in Deutschland.
Zum Abschluss ein Dank an meine journalistische Hilfe Maria, für ihre Korrektur, die Bilder und den schönen Silvester Aufenthalt 🙂

Nach Helgoland kommst du mit der Fähre oder auch mit dem Flugzeug. Letzteres sollte natürlich nur die Not-Variante sein. Mit der Fähre dauert die Überfahrt, je nach Start-Hafen, zwei bis drei Stunden. Der Halunder Jet von Hamburg aus wird sicher für viele von euch die schnellste (aber auch teuerste Variante) sein, da hier kein langer Bahn-Transfer zu den kleineren Hafenstädten notwendig ist. Insgesamt dauert die Jet-Fahrt dann 3,5 Stunden.
Im Winter fährt jedoch nur die Verbindung Cuxhaven-Helgoland. Eine Ausnahme bilden die Weihnachts- und Neujahresfeiertage, wo der Halunder Jet die Strecke Hamburg-Helgoland bedient.
Wie bereits erwähnt, hat Helgoland keine wirklich moderne Küche zu bieten, wenigstens nach meinem Geschmack. Die kulinarischen Highlights sind die Taschenkrebse und die Hummer, die vor der Küste gefangen werden. Ich habe vor kurzem gehört, dass sich gastronomisch doch wieder einiges tut, aber etwas Konkretes kann ich da leider nicht anbieten. Meine Lieblingsrestaurants auf der Insel sind:
Wer lieber am Abend etwas trinken will, wird schnell auf die typischen Kneipen Helgolands stoßen. Eine modernere Variante ist mir nicht bekannt.
Die Unterkunftssuche auf Helgoland kann erfahrungsgemäß etwas kompliziert sein. Leider muss ich sagen, dass die Buchung via Booking tatsächlich am einfachsten ist. Hier kannst du kleine Zimmer in der Stadt auch für recht wenig Geld bekommen. Dennoch ist dort die Auswahl begrenzt und ihr könnt auch auf das örtliche Buchungsportal ausweichen. Leider musste ich aber feststellen, dass die anfangs angezeigten Preise nicht immer die Gesamtpreise darstellen. Häufig wird ein Minimum an Buchungsnächten verlangt. Teilweise sogar im Umfang von fünf bis sieben Nächten, was ich nicht wirklich zeitgemäß finde. Außerdem werden hohe Reinigungskosten als extra Pauschale oben drauf gerechnet. So können wirklich gepfefferte Preise zusammenkommen.
Neben diesen Portal lohnt sich auch ein Blick auf Fewo Website oder auch die Jugendherberge, falls das was für dich ist. Dort finde ich die Preise ehrlich gesagt im Vergleich ebenso recht hoch.
Vögel
Für mich ist die Natur natürlich das absolute Highlight der Insel. Hier gibt es wirklich wahnsinnig viel zu entdecken. Eine einfache Wanderung zur langen Anna auf der Hauptinsel ist natürlich ein Muss. Auf dem Lummenfelsen und den schroffen Steilklippen sitzen im Sommer tausende brütende Meeresvögel. Diese Felsen sind deutschlandweit das einzige Brutgebiet für Lummen, Basstölpel, Eissturmvögel und Tordalke. Sie sind sehr leicht vom aus Weg zu beobachten. Mitte Juni ist der Lummensprung: Die Lummenküken springen aus ihrem Nest auf den Klippen hinunter ins Meer. Wirklich spektakulär.
Im Herbst und Winter kommen nur selten Lummen nach Stürmen auf die Felsklippen. Sonst sind die Klippen nicht besetzt. Sehr bekannt ist Helgoland auch durch den Vogelzug, wobei dieser nicht zwingend mit offensichtlichen, großen Schwärmen aufwartet. Helgoland hält allerdings den deutschen Rekord an nachgewiesenen Vogelarten. Die Vogelwarte, wo auch jährlich tausende Vögel beringt werden, ist die älteste Vogelwarte Deutschlands und auch international recht bekannt. Besucht werden kann die Vogelwarte, in Nicht-Corona Jahren, auch ohne Voranmeldung.
Robben
Außerdem gibt es selbstverständlich noch die Überfahrt auf die Düne. Hier könnt ihr im Winter Kegelrobben in der Geburtensaison von November-Januar beobachten. Hierzu kommen hunderte, wenn nicht sogar bald über tausend Robben zu den Stränden, um ihre Jungtiere zu gebären. Die jungen Robben haben anfangs ein nicht wasserfestes, wollartiges Lanugo-Fell, wodurch sie noch einige Wochen auf der Insel verbringen und am Strand gesäugt werden. Ihr solltet den gegebenen Abstand beachten und aktuelle Informationen zur Besucherlenkung berücksichtigen. Teilweise könnt ihr direkt am Strand oder von einen Bohlenweg die Tiere beobachten.
Im Sommer liegen ebenfalls Kegelrobben auf dem Dünenstrand. Auch Seehunde lassen sich nun häufiger blicken. Das Baden am Strand ist jedoch ohne Einschränkung (soweit ich informiert bin) möglich.
Führungen zu der Vogelklippen im Sommer und den Kegelrobben im Winter werden durch die Umweltorganisation Jordsand durchgeführt. Da ich selbst auch mal diese Führungen geleitet habe, kann ich diese natürlich sehr empfehlen. 😉
Hummer
Hummer leben in Deutschland ausschließlich am steinigen Meeresgrund um Helgoland. Früher waren sie noch in großer Anzahl vorhanden. Die Bestände sind leider immens zurückgegangen, das Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung (AWI) leitet ein Hummerzuchtprojekt. Auch hier werden Führungen angeboten.
Weitere Informationen unter helgoland.de
Ich hoffe, dir haben meine persönlichen Eindrücke zu Helgoland gefallen. Schreibe einen Kommentar und erzähl mir von deinen Erfahrungen auf Helgoland. Wenn du noch andere Artikel lesen möchtest, kann ich dir meine Artikel über den Harz und die Costa Vicentina empfehlen. 🙂



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