Harz – Wald im Wandel zur Wildnis

Für mich hatte der Brocken schon immer etwas Magisches. Der Blocksberg im dichten Nebel, Schauplatz von Hexentänzen und alten Ritualen. Wenn man im norddeutschen Flachland aufwächst, schaut man sinnbildlich oder auch sehr praktisch auf zum höchsten Berg des Nordens. Wie ist es da oben wohl?

Brockensicht

Photo by Marcel Gerson

Der Brocken

In meiner Jugend verschlug es mich bereits mehrmals ins Gebirge. Für mich ist der Harz mit seinen dichten Fichtenwäldern und Hügellandschaften der Inbegriff von Natur geworden. Bei einem Schulausflug fand ich einmal einen Feuersalamander. Welch ein außergewöhnliches Tier mit seinem gelbgesprenkelten Körper, dachte ich damals. Einige Jahre später fuhr ich für meine ersten eigenen Wanderungen in den Harz, ohne genau zu wissen, wohin ich eigentlich genau wandern wollte.

Ganze neun Jahre später habe ich nun den Brocken bestiegen. Viel ist in diesen neun Jahren passiert – und doch bleibt eine schwer greifbare Faszination. Die Berge der Alpen sind sicherlich höher und einem Bayer fällt es sicher schwer, den Brocken überhaupt als richtigen Berg zu akzeptieren. Dennoch verstehe ich, dass diesen Berg immer noch ein unvergleichlicher, mystischer Charme umgibt, wenn man im morgendlichen Nebel den Brocken empor steigt.

Als erstes Gebirge Norddeutschlands ragt der Harz aus dem Tiefland heraus. Der Wind des Nordens trifft hier ungehindert auf die Bergspitzen. Regelmäßig fegen Orkanwinde über die Gipfel des Harzes. Das Klima auf dem Brocken ist vergleichbar mit dem des südlichen Skandinaviens. Auf dem 1141 Meter hohen Brocken wachsen nur noch spärlich Bäume, Flechten und Zwergsträucher dominieren. Auch kleine Hochmoorflächen haben die Zeit überdauert. Etwas weiter unten wachsen die ersten Fichten. Hunderte Jahre alt, wirken sie klein und krüppelig. Noch etwas weiter unten wartet der Tod: Tausende tote Bäume prägen heute das Bild im Harz.

Photo by Marcel Gerson

Der Waldfriedhof

Dafür verantwortlich zeigt sich ein winziger, nur stecknagelgroßer Käfer – der Borkenkäfer oder besser gesagt der Buchdrucker, eine von vielen Borkenkäferarten. Er befällt vornehmlich geschwächte Fichten. Die Fraßgänge der Käfer (siehe Bild) ähneln in ihrem Erscheinungsbild arabischen Schriftzeichen, worauf auch der Name zurückgeht. Sie schneiden die äußere Nährstoffschicht (Phloem) der Fichte ab, wodurch der Baum letztlich unterversorgt und abstirbt.

Bei günstigen warmen und windstillen Bedingungen kann der Buchdrucker sich massenweise vermehren und ganze Fichten-Wälder zum Absterben bringen. Für Waldbesitzer ist dies eine absolute wirtschaftliche Katastrophe. Der ganze Wald scheint zu einem Friedhof geworden zu sein.

traces-4012399_1280
Photo by adege Pixabay

Der Nationalpark Harz wird wilder

HarzKarte_gerson
Map by Marcel Gerson

Der scheinbare Waldfriedhof ist jedoch keineswegs tot – im Gegenteil. Entgegen der eigenen Wahrnehmung ist dieser Wald lebendiger als zuvor. Die stehenden und liegenden toten Bäume bieten zahlreichen Tieren und Pilzen eine wichtige Nahrungsgrundlage. Spechte haben Löcher in die hohlen Bäume geschlagen, welche später Waldkäuzen oder Fledermäusen ein neues Zuhause bieten können. Das morsche Holz wird nicht nur durch holzzersetzende Pilze, sondern auch viele unterschiedliche Insekten besiedelt. Zahlreiche Insektenarten in Deutschland sind vom Totholz abhängig. Im Harz entsteht gerade also ein ganzes neues Ökosystem.

Aber was ist mit dem Wald? Als der Nationalpark Bayerischer Wald in den 1990er Jahren ein ähnliches Schicksal erlitt, war die Reaktion vergleichbar emotional wie jetzt im Harz. Dort hieß es, das Waldsterben würde beginnen und der Wald nie wiederkommen. Es zeigte sich jedoch, dass zwar Bäume absterben, der Wald aber nachwächst.

Die Nachhaltigkeit unserer Wälder

Photo by Marcel Gerson

Die Hochleistungs-Fichtenplantagen in den niedrigeren Höhenlagen des Harzes wurden vor Jahrhunderten gepflanzt, um die Industrie mit dem Rohstoff Holz nachhaltig zu versorgen. „Nachhaltig“ hieß damals nur, sich beständig selbst zu regenerieren und hatte keinen Biodiversitätsaspekt. Solche gepflanzten Wälder sind allerdings ein Hochrisiko-Investment. Wenn alles glatt läuft mit Planung, Pflegemaßnahmen und Umwelteinflüssen, ernten die Waldbesitzer eine hohe Rendite. Nur läuft mit dem Klimawandel nicht alles glatt.

Unvorhersehbare Extremwetter-Ereignisse und steigende Temperaturen lassen die Rendite schrumpfen. Stürme reißen die gleichaltrigen Fichtenreihen nieder und durch die gestiegenen Temperaturen werden die Bäume geschwächt, sodass sie sich nicht mehr gegen Borkenkäfer wehren können. In bewirtschafteten Wäldern können waldbauliche Maßnahmen, zum Beispiel befallene Bäume aus dem Wald entfernen, den Patienten „Fichte“ noch eine Zeit lang am Leben erhalten – aber nicht auf Dauer.

In einem Nationalpark wie dem Nationalpark Harz gibt es solche waldbaulichen Maßnahmen nicht. Das wirkt wie ein Katalysator, der das Absterben der Fichtenkulturen noch beschleunigt. Am Ende dieser Entwicklung wird ein neuer Wald entstanden sein, der strukturreicher ist, in dem Bäume unterschiedlicher Arten und Altersklassen stehen. Der neue Wald ist letztlich naturnäher. In den unteren Lagen werden andere Bäume wieder vorherrschen. Ursprünglich haben Buchen dominiert: Sie würden natürlicherweise – mit wenigen Ausnahmen – fast ganz Deutschland bedecken. An einigen Stellen im Harz gibt es solche Wälder schon. Am schönsten sind sie im Ilsetal.

Ein Herbsttraum

Photo by Sven Lachmann Pixabay

Wenn man dem Fluss aus Ilsenburg heraus nach Süden in die Berge folgt, entdeckt man einen ganz anderen Wald. Umgeben von absterbenden Fichtenwäldern wachsen Buchen und Eichen am Fluss empor. Sie sind bereits hunderte Jahre alt. Einige sind in den Jahren auf natürliche Weise abgestorben, andere wachsen gerade erst aus dem Waldboden hervor. 

In der Luft zwitschern Meisen und rufen Schwarzspechte. Fledermäuse haben in nahen Stollen und in Baumhöhlen ihr Quartier bezogen. In der Dämmerung kommen sie heraus, um sich an den Mücken über dem Gewässer satt zu fressen. Wildschweine suchen am Boden nach den Früchten der Buchen – den Bucheckern. Es ist ein sonniger Herbsttag und man könnte glauben, es wäre überall so friedlich.

Wenn du die einzigartige Dynamik im Harz erleben möchtest, solltest du im Nationalpark wandern gehen. Der „schönste Weg auf dem Brocken“, der Heinrich-Heine-Weg, wäre ein guter Einstieg. Zum Start der Route in Ilsenburg gelangst du am besten mit dem Zug oder mit dem Auto. Weitere gute Startorte für Zugreisende sind Bad Harzburg oder Wernigerode. Von hier kannst du auch per Bus nach Schierke oder zum Torfhaus weiterfahren.

Die genaue Wanderroute des Heinrich-Heine-Weges kann man hier auf Outdoor anschauen. 

Diese Tour beginnt im kleinen Ilsenburg mit seinem typischen kleinen Fachwerkhäusern. Danach wanderst du entlang der Ilse im beschriebenen idyllischen Tal neben großen Buchen Richtung Brocken. Nach und nach verändert sich die Landschaft. Bald dominieren die größtenteils toten Fichtenwälder. Kurz darauf erreichst du ein schönes Hochplateau mit gutem Blick auf den Brocken. Danach geht um den Brocken nach Norden und steil hoch auf den kleinen Brocken. 

Der Anstieg ist zwar recht steil, aber kurzweilig. Auf dem kleinen Brocken lohnt es sich, etwas zu bleiben, um die dortigen Fichten genauer zu beobachten. Denn hier ist ihr natürliches Verbreitungsgebiet. Sie sind krumm und schief, aber bisher noch recht vital. Auf geht es dann auf die letzten Meter zum Brocken. In Nicht-Corona Zeiten könntest du von hier die Brockenbahn wieder nach Wernigerode nehmen. Natürlich lohnt es sich, auf dem Brocken eine ausgiebige Pause einzulegen, um einen perfekten Überblick über den gesamten Harz bekommen. An wolkenlosen Tagen kannst du hier hunderte Kilometer weit ins Land schauen. 

Theoretisch könntest du anschließend nach Ilsenburg zurückwandern. Ich würde allerdings empfehlen, noch einen Abstecher nach Schierke zu machen. Zwar ist das noch ein Stück zu Fuß, aber es geht letztlich nur abwärts. Sehr empfehlen kann ich den Weg über den Eckerlochstieg, der zwar über Stock und Stein, aber auch mitten durch einen großen, abgestorbenen Fichtenwald führt. Unter den toten Fichten wachsen bereits unzählige neue Bäume hoch, was einem nochmal verdeutlicht, wie lebendig dieser „tote“ Wald eigentlich ist.

Der Harz bietet als eines der größten Waldgebiete Norddeutschlands einen außergewöhnlichen Lebensraum für viele Tierarten. 

Säugetiere

Luchse sind sicherlich das Aushängeschild des Nationalparks. Nachdem sie Anfang 2000 wieder ausgewildert wurden, konnte sich eine kleine, stabile Population etablieren. Auch die umliegenden Gebiete um den Harz konnten bereits wieder besiedelt werden. Leider ist es selbst in Wäldern mit hohen Luchs-Populationen fast unmöglich, diese sehr scheuen Tiere zu Gesicht zu bekommen. Ein Trostpflaster wäre der Besuch des Luchsgeheges bei der Rabenklippe.

Andere Säugetiere lassen sich deutlich leichter sichten. Sehr empfehlen kann ich die Wildtier-Beobachtungsstationen des Nationalparks. Ich habe bei Molkenhaus Rothirsche, Wildschweine und Füchse beobachten können. Diese sind in der Dämmerung am aktivsten. In der Abend-Dämmerung kannst du auch nach Fledermäusen Ausschau halten.

Vögel

Der Harz bietet vielen seltenen Vogelarten ein Rückzugsgebiet. Uhu, Schwarzstorch oder Eichelhäher sind in den Wäldern hier recht häufig. Leider war die Wiederansiedlung des Auerhahns bisher nicht erfolgreich. Die Tiere sind nur im Auerhuhn-Gehege bei Lonau zu sehen. An den Gewässern lassen sich allerdings häufig mal Wasseramseln oder der flinke Eistaucher sichten.

Amphibien

Das sehr feuchte Gebirge beheimatet auch zahlreiche Amphibien. Bei Regen kommen häufig Feuersalamander heraus, die ich wie geschrieben schon selbst einmal beobachten konnte. Gelbauchunken sind leider sehr selten geworden. Geburtshelferkröten, die ihren Laich noch mit sich herumtragen, haben ein bedeutendes Verbreitungsgebiet im Harz. Eine weitere Besonderheit ist der Grottenolm, der in den 1930er Jahren in der Hermannshöhle ausgesetzt wurde. Die eigentlich aus den Karsthöhlen Istriens und Dalmatiens stammenden Olme haben bis jetzt noch ohne Nachwuchs die Zeit im Harz überdauert. 2020 wurden befruchtete Eier gefunden. Das wäre der erste Nachwuchs nach 85 Jahren.

Weitere Informationen auf der offiziellen Nationalpark und Tourismus Seite

Ich hoffe, du hattest Spaß beim Lesen und hast ein paar neue Eindrücke über den Harz gewonnen. Schreib in die Kommentare wie es dir gefallen hat und was deine Eindrücke aus dem Harz sind! Für weitere Natur-Reisen könnt ihr gern noch meinen Artikel zu Helgoland und dem Rota Vicentina Wanderweg in Portugal lesen.

Du kannst meine Arbeit bei Patreon unterstützen!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar